Trauma

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Einleitung

Ein Trauma ist eine seelische Verletzung, die durch eine als existenziell bedrohlich erlebte Situation ausgelöst wird – etwa durch Gewalterfahrung, Kontrollverlust, medizinische Übergriffe oder tiefe emotionale Erschütterung. Beim Hund kann ein Trauma tiefgreifende Veränderungen im Verhalten, der Wahrnehmung und der Reizverarbeitung verursachen.

Nicht jede Angst, nicht jedes auffällige Verhalten ist Ausdruck eines Traumas. Und doch gibt es Hunde, bei denen sich Verhaltensweisen zeigen, die weit über Unsicherheit, schlechte Erfahrungen oder unzureichende Sozialisation hinausgehen. Hier spricht man – in Anlehnung an die Humanpsychologie – von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Traumatisierte Hunde erleben ihre Umwelt häufig als unvorhersehbar, bedrohlich und nicht kontrollierbar. Typisch sind übersteigerte Reaktionen auf bestimmte Auslöser, anhaltende Übererregung oder plötzliche „Blackouts“. Besonders schwer ist: Viele dieser Hunde zeigen diese Symptome nicht immer – sondern phasenweise, situativ oder scheinbar aus dem Nichts heraus.

Ziel dieses Artikels ist es, ein differenziertes Verständnis für das Thema Trauma und PTBS beim Hund zu vermitteln – fernab von Pathologisierung, aber mit klarem Blick auf die realen Herausforderungen im Alltag. Denn traumatisiertes Verhalten ist keine „Marotte“, sondern Ausdruck einer tiefgreifenden seelischen Erschütterung, die Respekt, Fachwissen und Zeit erfordert.

Ursachen traumatischer Erfahrungen

Traumatische Erfahrungen bei Hunden entstehen durch Ereignisse, die das Gefühl von Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle abrupt zerstören. Nicht die objektive Schwere eines Vorfalls ist entscheidend, sondern die subjektive Überforderung des Hundes im Moment des Geschehens.

Typische Auslöser

  • Gewalt oder Misshandlung durch Menschen
  • Übergriffe durch andere Hunde oder Tiere
  • Stürze, Unfälle, Verletzungen
  • Plötzliche Trennung von Bezugspersonen (z. B. Rehoming)
  • Isolation, Zwingerhaltung oder soziale Deprivation
  • Tierärztliche Maßnahmen unter Zwang oder Schmerz
  • Überforderung durch Umweltreize (z. B. Lärm, Menschenmengen)

Kumulative Belastung

Trauma muss nicht durch ein einzelnes Schockerlebnis entstehen. Auch eine Vielzahl kleinerer, wiederholter Belastungen kann zu einer chronischen Überforderung führen – etwa:

  • dauerhafte Unsicherheit im Alltag,
  • fehlende Schutzräume,
  • ständige Kontrollverluste,
  • wiederholte Missachtung körpersprachlicher Signale.

Diese Form wird als „komplexes Trauma“ bezeichnet und ist häufig schwerer zu erkennen, da kein klarer Auslöser benannt werden kann.

Bedeutung von Alter und Entwicklungsphase

Besonders gravierend wirken sich Traumata aus, wenn sie in sensiblen Entwicklungsphasen auftreten:

  • In der frühen Sozialisierung (3.–12. Woche) kann ein Schockerlebnis tiefgreifende Prägungen hinterlassen.
  • In der Adoleszenz (Pubertät) fehlt oft die emotionale Stabilität zur Verarbeitung von Überforderung.
  • Traumata in dieser Zeit können bleibende Auswirkungen auf Stressverarbeitung, Bindungsfähigkeit und Selbstregulation haben.

Fazit: Die Ursachen traumatischer Erfahrungen sind vielfältig – entscheidend ist nicht das „Was“, sondern das „Wie“ es erlebt wurde. Individuelle Belastbarkeit, Schutzfaktoren und die Möglichkeit zur Verarbeitung bestimmen, ob ein Ereignis zur langfristigen Störung wird.

Symptome und Diagnosekriterien

Posttraumatische Belastungsstörungen äußern sich beim Hund durch auffällige, oft widersprüchlich wirkende Verhaltensweisen. Typisch ist nicht ein einzelnes Symptom, sondern ein Bündel an Reaktionen, das über längere Zeit bestehen bleibt und nicht durch Training oder Routine abgebaut wird.

Typische Symptome

  • Überreaktionen auf bestimmte Auslöser („Trigger“), z. B. Geräusche, Berührungen, Orte
  • Plötzliche „Blackouts“ oder dissoziative Zustände (z. B. Erstarren, Abwesenheit)
  • Anhaltende Übererregung, Schlafprobleme, Rastlosigkeit
  • Unruhe oder Panik in neuen oder unkontrollierbaren Situationen
  • Vermeidung bestimmter Kontexte (z. B. Tierarzt, Treppen, Männer)
  • Aggressionsverhalten ohne erkennbare Vorwarnung
  • Veränderung im Sozialverhalten – Rückzug oder übermäßige Anhänglichkeit

Reaktion auf Sicherheit

Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu ängstlichen, schlecht sozialisierten oder unsicheren Hunden: Hunde mit PTBS können selbst in sicherer Umgebung, mit verlässlicher Bezugsperson und stabiler Struktur keine dauerhafte Entspannung finden.

Ein besonderes Augenmerk verdienen Pflegehunde – insbesondere aus dem Auslandstierschutz. Diese Hunde gelten als Hochrisikogruppe für verzögertes Traumaverhalten. In den ersten Tagen wirken sie oft unauffällig, ruhig oder freundlich, was leicht zu einer Fehleinschätzung führen kann. Doch sobald erste Strukturen greifen, Reize sich wiederholen und eine gewisse Vertrautheit entsteht, brechen gespeicherte Stressmuster auf. Der scheinbar entspannte Hund wird plötzlich aggressiv, ängstlich oder schwer kontrollierbar.

„Viele dieser Hunde sind nicht stabil. Sie sind höflich, solange sie überfordert sind – und reagieren, sobald sie innerlich auftauen.“ – Verena Kretzer

Diese Reaktionsverzögerung stellt Fachleute wie auch Halter:innen vor besondere Herausforderungen. Weder klassische Diagnostik noch herkömmliches Training greifen in dieser Phase zuverlässig. Entscheidend ist ein sicherer, reizreduzierter Alltag mit klarer Vorhersehbarkeit. Nur wenn der Hund sich nicht dauerhaft schützen muss, kann eine echte Verhaltensdiagnose überhaupt möglich werden.

Pflegehunde mit Traumahintergrund benötigen deshalb verlängerte Beobachtungszeiträume, systematisches Stressmanagement und die Bereitschaft, erste Eindrücke zu revidieren. Verlässlichkeit, ruhige Routinen und der Verzicht auf überambitioniertes Training bilden in dieser Phase die Grundlage für Stabilisierung.

Das Vorher-Nachher-Prinzip

In der Diagnostik traumatischer Belastung ist der biografische Kontext entscheidend:

  • Gab es eine deutliche Verhaltensveränderung nach einem bestimmten Ereignis?
  • Konnte sich der Hund zuvor in vergleichbaren Situationen regulieren?
  • Wie lange besteht das Verhalten – und unter welchen Bedingungen verändert es sich?

Grenzen tiermedizinischer Diagnostik

Während in der Humanmedizin klare Kriterien (z. B. nach DSM-5) für die Diagnose einer PTBS existieren, fehlt beim Hund ein standardisiertes System. Deshalb ist die Diagnostik beim Hund eine Kombination aus:

  • ausführlicher Verhaltensbeobachtung,
  • biografischer Anamnese,
  • Ausschluss körperlicher Ursachen,
  • Abgrenzung zu anderen Problembereichen (z. B. ADHS, Angststörung, Reizüberflutung).

Fazit: PTBS ist beim Hund kein fest umrissenes Krankheitsbild, sondern eine Beschreibung tiefgreifender emotionaler Folgereaktionen auf überwältigende Erfahrungen. Ihre Erkennung erfordert Genauigkeit, Geduld – und den Mut, auch das Unsichtbare ernst zu nehmen.

Differenzialdiagnose

Nicht jedes auffällige oder instabile Verhalten ist Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung. Viele Symptome, die auf den ersten Blick „traumatisch“ wirken, können auch andere Ursachen haben – etwa mangelnde Sozialisation, Reizüberflutung, genetische Dispositionen oder chronischer Stress.

Abgrenzung zu anderen Störungsbildern

  • Unsicherheit und Angstverhalten: häufig situationsspezifisch, gut trainierbar, oft mit klarer Ursache
  • Reaktive Aggression: basiert meist auf Frustration, Schmerz oder sozialer Überforderung
  • Sensorische Einschränkungen: Taubheit, Blindheit oder Schmerzen können überraschende Reaktionen auslösen
  • Kognitive Dysfunktionen (Alter): bei älteren Hunden mit Desorientierung, Reizempfindlichkeit, Reizfilterschwäche
  • ADHS-ähnliche Symptome: überdauernde Unruhe, Impulsivität, gestörte Reizkontrolle – oft genetisch und neurobiologisch bedingt

Typische Hinweise gegen eine Traumafolgestörung

  • Verhalten tritt ausschließlich in bestimmten Situationen auf (z. B. beim Tierarzt)
  • Hund kann sich in vertrauter Umgebung zuverlässig regulieren
  • Symptome sind im Verlauf der Zeit rückläufig oder durch Training gut beeinflussbar
  • Es bestehen keine tiefgreifenden Störungen in Schlaf, Verdauung oder Sozialkontakt

Typische Hinweise auf ein tiefergreifendes Trauma

  • Verhalten ist unabhängig vom Ort oder der Tagesform instabil
  • Überreaktionen erscheinen unlogisch oder stark übersteigert
  • Rückzugsverhalten, Vermeidung, Aggression oder Erstarren ohne erkennbare Vorzeichen
  • Veränderung des Grundverhaltens nach einschneidendem Erlebnis

Fazit: Die Differenzialdiagnose ist zentral, um betroffene Hunde nicht vorschnell zu pathologisieren – aber auch, um echte Traumafolgestörungen nicht zu übersehen. Sie hilft, gezielt zu begleiten statt zu überfordern – und eröffnet realistische Perspektiven für Alltag, Training und Therapie.

Verhaltenstherapeutischer Umgang

Die Arbeit mit traumatisierten Hunden unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Verhaltenstraining. Ziel ist nicht die Veränderung einzelner Verhaltensweisen, sondern die Wiederherstellung von emotionaler Stabilität, Kontrollierbarkeit und Selbstwirksamkeit.

Grundprinzipien der traumasensiblen Arbeit

  • Sicherheit schaffen: physisch, sozial, emotional
  • Vorhersehbarkeit etablieren: feste Rituale, klare Tagesstruktur
  • Kontrolle ermöglichen: der Hund muss Einfluss auf sein Erleben nehmen dürfen
  • Freiwilligkeit fördern: keine Zwangs- oder Konfrontationsübungen
  • Regelmäßige Belastungspausen: Reizreduktion ist kein Rückschritt, sondern Voraussetzung für Entwicklung

Erste Schritte im Alltag

  • Rückzugsorte definieren, die nie gestört werden
  • Spaziergänge reizarm und routiniert gestalten
  • Soziale Reize dosieren – lieber eine stabile Bezugsperson als wechselnde Begegnungen
  • „Zuhören lernen“: Körpersprache des Hundes beobachten und respektieren

Beziehung statt Befehl

Traumatisierte Hunde brauchen keine „Konsequenz“ – sie brauchen Verlässlichkeit. Die Beziehung zur Bezugsperson ist der wichtigste therapeutische Faktor:

  • Körpersprachlich ruhige, voraussagbare Kommunikation
  • Kein „Durchhalten“ oder „Überreden“
  • Verstärker aufbauen, die nicht durch Futter ersetzt werden müssen (z. B. Vertrauen, Distanzgewährung)

Die Shelter-Trainerin Sarai Salazar beschreibt in ihrer Arbeit mit verhaltensauffälligen Hunden eindrucksvoll, wie bedeutsam das „Einfach-Dasein“ für den Therapieprozess sein kann. Als selbst von Trauma betroffener Mensch formuliert sie:

„Ich bin nicht trotz meines Traumas hier, sondern wegen meines Traumas. Ich saß selbst im Dunkeln. Und jetzt sitze ich mit diesen Hunden in ihrem Dunkel. Da, wo sie noch niemand berühren kann.“

Salazar sieht traumasensible Arbeit nicht als Technik, sondern als gelebte Beziehung – geprägt von Respekt, Achtsamkeit und der Bereitschaft, im Tempo des Hundes präsent zu bleiben. Sie betont, dass Veränderung nicht durch „Training“ beginnt, sondern durch emotionale Sicherheit. Co-Regulation ist für sie kein Fachbegriff, sondern ein gelebter Akt von Mitgefühl und Gleichwürdigkeit.

Diese Haltung ergänzt den verhaltenstherapeutischen Ansatz um eine existenzielle Dimension: Wer selbst Verletzung kennt, kann Halt geben – ohne Erwartungen, ohne Bedingungen. Für viele traumatisierte Hunde ist das der erste Schritt zurück ins Vertrauen.

Grenzen erkennen und respektieren

Traumasensible Arbeit bedeutet nicht „immer sanft“ – sondern „immer sicher“. Dazu gehört auch:

  • Trainingseinheiten rechtzeitig abzubrechen
  • Stresszeichen frühzeitig zu erkennen
  • Rückschritte nicht als Versagen zu interpretieren
  • Eigenes Kontrollbedürfnis kritisch zu hinterfragen

Fazit: Verhaltenstraining bei traumatisierten Hunden beginnt nicht mit „Sitz“ oder „Platz“ – sondern mit einem tiefen Verständnis für die inneren Zustände des Tieres. Nur wer Sicherheit bietet, darf Veränderung erwarten.

Triggertraining und Gegenkonditionierung

Traumatisierte Hunde reagieren häufig auf spezifische Auslöser („Trigger“) mit panischer Angst, Aggression oder völliger Abschaltung. Ziel des Triggertrainings ist nicht, den Hund „abzuhärten“, sondern ihm schrittweise die Kontrolle über die Situation zurückzugeben.

Prinzip der freiwilligen Mitarbeit

Im Zentrum steht das sogenannte Start-Button-Verhalten: Der Hund zeigt ein eindeutiges Signal, mit dem er den Beginn oder die Fortsetzung eines Trainingsschritts „freigibt“. Dadurch erlebt er:

  • Vorhersagbarkeit („Ich weiß, was gleich passiert“)
  • Kontrolle („Ich bestimme, wann es losgeht“)
  • Sicherheit („Ich darf jederzeit abbrechen“)

Aufbauphasen eines traumasensiblen Trainings

  1. Trigger identifizieren – möglichst genau (z. B. bestimmte Berührungsart, Stimme, Richtung)
  2. Sicherheitszone schaffen – räumlich, zeitlich, sozial
  3. Nähe und Intensität staffeln – minimale Reizdosis wählen
  4. Reiz ankündigen und kontrollierbar machen
  5. Positiv verknüpfen – durch Marker, Futter, Distanzgewinn oder Pausen
  6. Abbruchsignale respektieren – der Hund entscheidet mit

Dosierung statt Konfrontation

Effektives Triggertraining arbeitet nicht mit Flutung oder Reizüberflutung, sondern mit mikroskopischer Dosierung. Das Ziel ist:

  • keine Reaktion → sondern Regulation
  • keine Reizgewöhnung → sondern emotionale Neubewertung
  • kein „Aushalten“ → sondern „Mitgestalten“

Voraussetzungen

  • Exakte Reizkontrolle durch Mensch
  • Gute Lesbarkeit des Hundes (Körpersprache, Mikrosignale)
  • Hoher Belohnungswert durch individuell abgestimmte Verstärker
  • Genügend Pausen und Tage ohne Training

Fazit: Triggertraining ist keine Technik, sondern ein Dialog. Es basiert auf Vertrauen, Klarheit und der Bereitschaft, sich auf das Tempo des Hundes einzulassen. Wer diesen Weg konsequent geht, schenkt dem Hund nicht nur neue Erfahrungen – sondern ein neues Erleben von Welt.

Zusammenarbeit mit Tierärzt:innen

Bei traumatisierten Hunden ist die tiermedizinische Begleitung ein zentraler Bestandteil jeder nachhaltigen Therapie. Viele Symptome – etwa Reizbarkeit, Rückzug oder plötzliche Aggression – können durch Schmerzen oder organische Ursachen verstärkt oder ausgelöst werden.

Schmerz- und Gesundheitsabklärung

Vor Beginn eines Trainingsprogramms sollte immer abgeklärt werden:

  • Gibt es akute oder chronische Schmerzquellen? (z. B. Bewegungsapparat, Zähne, Haut)
  • Liegt eine neurologische Empfindlichkeit vor?
  • Bestehen hormonelle Dysbalancen? (z. B. Schilddrüse, Sexualhormone)
  • Sind sensorische Einschränkungen vorhanden (z. B. Sehen, Hören)?

Eine fundierte Diagnostik ist essenziell – auch weil viele Hunde im Tierarztsetting kompensieren und Schmerzen nicht offen zeigen.

Einsatz von Medikamenten

In schweren Fällen kann die Gabe von Psychopharmaka oder angstlösenden Präparaten sinnvoll sein – etwa:

  • zur kurzfristigen Stabilisierung in Krisen
  • zur Unterstützung des Trainings bei starker Übererregung
  • zur Entlastung des Körpersystems bei chronischem Stress

Dabei gilt:

  • Kein Medikament ersetzt Beziehung, Training und Struktur
  • Der Einsatz muss individuell angepasst und regelmäßig überprüft werden
  • Ein interdisziplinärer Austausch zwischen Verhaltenstherapie und Tierarztpraxis ist ideal

Stressfreier Umgang in der Praxis

Traumatisierte Hunde benötigen besondere Bedingungen beim Tierarzt:

  • kein Warten im vollen Wartezimmer
  • ruhige, planbare Abläufe mit Vorankündigung
  • Mitwirkung durch medizinisches Kooperationsverhalten (z. B. Maulkorbtraining, Startbutton)
  • gegebenenfalls mobile Tierärzt:innen oder Hausbesuche

Fazit: Tierärztliche Begleitung ist keine Ergänzung – sondern ein tragender Pfeiler im Umgang mit traumatisierten Hunden. Nur wer den Körper ernst nimmt, kann die Seele verstehen. Und nur wer beides zusammen denkt, kann helfen.

Emotionales Erleben von Halter:innen

Die Begleitung eines traumatisierten Hundes ist emotional herausfordernd. Viele Halter:innen erleben einen Wechsel aus Ohnmacht, Frustration, Schuldgefühlen und tiefer Zuneigung – oft ohne zu wissen, was genau sie falsch oder richtig machen.

Typische emotionale Belastungen

  • Hilflosigkeit: „Ich weiß nicht, wie ich helfen kann.“
  • Schuld: „Habe ich etwas falsch gemacht?“
  • Enttäuschung: „So hatte ich mir das Leben mit Hund nicht vorgestellt.“
  • Trauer: über die eingeschränkte Lebensqualität, den fehlenden Alltag
  • Wut: auf frühere Halter:innen, Tierheim, Züchter:innen oder auf das eigene Umfeld

Bedeutung der Etikettierung

Die Diagnose „PTBS“ kann entlasten – weil sie erklärt, was sonst unverständlich erscheint. Aber sie birgt auch Risiken:

  • Festschreibung: „Er ist halt so – da kann man nichts machen.“
  • Identifikation: Der Hund wird nur noch als „der Traumatisierte“ wahrgenommen
  • Überprotektivität: Training wird vermieden aus Angst, etwas falsch zu machen

Ein gesunder Umgang mit der Diagnose bedeutet:

  • Verständnis und Verantwortung in Balance zu bringen
  • Die Geschichte des Hundes mitzudenken – aber nicht alles mit ihr zu erklären
  • In kleinen Schritten neue Erfahrungen zu ermöglichen, ohne Erwartungen zu überfrachten

Selbstfürsorge der Halter:innen

Traumasensible Hundehaltung erfordert auch menschliche Selbstfürsorge:

  • Austausch mit verständnisvollen Menschen (z. B. Trainer:innen, Gleichgesinnten)
  • Pausen vom „Problem“ – durch Pflege anderer Lebensbereiche
  • Realistische Zielsetzungen: nicht alles wird „gut“, aber vieles wird besser
  • Professionelle Unterstützung, wenn Überforderung oder Trauer überwiegen

Fazit: Nicht nur der Hund trägt eine Last – auch die Menschen an seiner Seite. Wer Halter:innen traumatisierter Hunde begleiten will, muss beides im Blick behalten: das Verhalten des Hundes – und das emotionale Erleben des Menschen. Denn nur gemeinsam lässt sich heilen, was verletzt wurde.

Prävention

Viele traumatische Reaktionen beim Hund wären vermeidbar – durch rechtzeitige Aufklärung, achtsame Aufzucht und einen respektvollen Umgang in Alltag, Training und Tierarztpraxis. Prävention beginnt nicht erst beim Trauma – sondern bei der Gestaltung sicherer Lernerfahrungen.

Reizarme Sozialisierung

Die Sozialisierungsphase (3.–12. Lebenswoche) legt den Grundstein für emotionale Stabilität. Entscheidend ist nicht, wie viele Reize ein Welpe kennenlernt – sondern wie:

  • in sicherer Umgebung
  • mit sozialem Rückhalt
  • in kleinen, kontrollierbaren Dosen
  • mit Möglichkeit zur Verarbeitung und Rückzug

Gewöhnung statt Konfrontation

Lautstärke, Trubel, Hektik – viele Welpen werden „fit fürs Leben“ gemacht, indem man sie absichtlich überfordert. Doch:

  • ein überforderter Welpe lernt nicht – er schützt sich
  • viele Mini-Traumata entstehen durch gut gemeintes, aber schlecht begleitetes Training

Besser:

  • Reize dosieren
  • Reaktionen beobachten
  • Stress ernst nehmen
  • Mut stärken – nicht durch Zwang, sondern durch Erfahrung von Selbstwirksamkeit

Bedeutung von „One Trial Learning“

Ein einzelnes schlimmes Erlebnis kann ausreichen, um tiefe Spuren zu hinterlassen – etwa:

  • schmerzhafte Tierarztbehandlung
  • aggressiver Übergriff durch andere Hunde
  • Grobheit in Pflege oder Handling

Diese sensiblen Momente müssen besonders achtsam gestaltet werden:

  • durch medizinische Kooperation statt Fixierung
  • durch vorausschauendes Hundemanagement im öffentlichen Raum
  • durch respektvollen, ruhigen Umgang im Alltag

Fazit: Prävention bedeutet nicht, alles perfekt zu machen. Aber sie bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für die Erfahrungen, die ein Hund mit der Welt macht – vor allem in seinen ersten Monaten. Wer Sicherheit ermöglicht, beugt Trauma vor.

Ausblick

Nicht jeder Hund wird „gesund“. Nicht jedes Verhalten verschwindet. Und nicht jede Verletzung heilt vollständig. Doch das Ziel traumasensibler Arbeit ist nicht Perfektion – sondern Lebensqualität.

Chancen der Veränderung

Mit Geduld, Struktur und fachlicher Begleitung können viele traumatisierte Hunde:

  • ihre Erregung besser regulieren,
  • neue Bewältigungsstrategien entwickeln,
  • Vertrauen aufbauen – in Menschen, in Alltag, in sich selbst.

Es entstehen keine „funktionierenden Hunde“ – sondern Persönlichkeiten mit Geschichte, die lernen, wieder Handlungsspielraum zu gewinnen.

Grenzen akzeptieren

Manche Trigger bleiben bestehen. Manche Reaktionen lassen sich nicht vollständig kontrollieren. Das bedeutet:

  • keine Aufgabe – sondern Anerkennung der Realität
  • keine Resignation – sondern Priorisierung von Sicherheit und Wohlbefinden
  • kein Scheitern – sondern ein anderer Maßstab für Erfolg

Haltung statt Methode

Der Umgang mit traumatisierten Hunden erfordert weniger Technik als Haltung:

  • Präsenz statt Perfektion
  • Beziehung statt Kontrolle
  • Verständnis statt Anspruch

Fazit: Traumatherapie beim Hund ist keine Reparatur – sondern Beziehungspflege unter besonderen Bedingungen. Wer bereit ist, sich auf diesen Weg einzulassen, wird nicht nur Verhalten verändern. Sondern Vertrauen aufbauen – da, wo es verloren ging.

Typische Anzeichen für PTBS beim Hund
Symptom Beschreibung
Überreaktionen auf Reize Plötzliche, übersteigerte Reaktionen auf scheinbar harmlose Auslöser (z. B. Geräusche, Berührungen)
Dissoziatives Verhalten Erstarren, „Abschalten“, starrer Blick, als sei der Hund „nicht anwesend“
Anhaltende Übererregung Ruhelosigkeit, ständiges Scannen der Umgebung, Schwierigkeiten beim Schlafen
Vermeidungsverhalten Meidung bestimmter Orte, Personen oder Situationen ohne erkennbare Ursache
Soziale Rückzugsreaktionen Verlust von Spielfreude, weniger Kontaktaufnahme, Isolation
Aggressionsverhalten ohne Vorwarnung Plötzliche, kontextarme Eskalationen – meist aus Selbstschutz, nicht aus Konfliktmotivation
Eingeschränkte Lernfähigkeit Kaum Trainingserfolge trotz ruhiger Bedingungen, geringe Abrufbarkeit
Instabile Alltagsbewältigung Verhalten schwankt stark je nach Tagesform, Umgebung und Bezugsperson