Reaktiv
Reaktivität beschreibt in der Verhaltensbiologie und Hundeerziehung ein übersteigertes oder impulsives Verhalten von Hunden auf bestimmte Reize. Reaktive Hunde zeigen oft intensive emotionale Reaktionen wie Bellen, Ziehen, Fixieren oder sogar aggressives Verhalten gegenüber Menschen, Artgenossen oder Umweltreizen.
Definition
Ein reaktiver Hund reagiert auf Umweltreize deutlich schneller, stärker oder häufiger als es im Durchschnitt bei Hunden üblich ist. Dabei kann die Reaktion sowohl durch Angst, Frustration, Übererregung oder Unsicherheit ausgelöst werden.
Mögliche Ursachen
Reaktivität ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Verhaltensweisen mit oft multifaktoriellen Ursachen:
- Genetische Disposition (z. B. erhöhte Erregbarkeit bei Hüte- oder Schutzrassen)
- Mangelnde oder fehlerhafte Sozialisierung
- Negative Lernerfahrungen
- Körperliche Ursachen wie Schmerzen oder hormonelle Dysbalancen
- Emotionale Ursachen wie Angst, Unsicherheit oder Überforderung
- Fehlende Impulskontrolle
Typische Reaktionen
- Starkes Ziehen an der Leine
- Anbellen von Menschen, Hunden oder Fahrzeugen
- Fixieren oder Angreifen von Reizen
- Zittern, Winseln oder Fluchtverhalten
- Reizüberflutung bei hoher Umweltstimulation
Diagnostik und Analyse
Die Analyse reaktiven Verhaltens erfolgt durch eine sogenannte funktionale Verhaltensanalyse. Dabei wird das Verhalten des Hundes im Zusammenhang mit auslösenden Reizen, inneren Zuständen und Konsequenzen betrachtet.
Hilfreiche Werkzeuge:
- C-BARQ
- Beobachtungsprotokolle
- Gesundheitscheck durch Tierarzt
Trainingsansätze
Die Arbeit mit reaktiven Hunden erfolgt mehrstufig:
1. Management
Vermeidung von Auslösern, Sicherheitsabstand, Verwendung von Hilfsmitteln wie Maulkorb oder Schleppleine.
2. Gegenkonditionierung
Positive Verknüpfung mit ursprünglich negativ empfundenen Reizen.
3. Desensibilisierung
Langsame Gewöhnung an den Auslöser in kontrollierter Intensität.
4. Aufbau von Alternativverhalten
Trainieren von Signalen wie „Schau mich an“, „Touch“, Rückruf oder Orientierung am Menschen.
5. Verbesserung der Mensch-Hund-Bindung
Ressourcenmanagement, klare Regeln, Ruhephasen und verlässliche Führung.
Rechtlicher Rahmen
In einigen Bundesländern kann wiederholte oder gefährliche Reaktivität zu einer behördlichen Einschätzung als gefährlicher Hund führen (siehe z. B. HundehV (Brandenburg) §5).
Literatur und Quellen
- Shore et al. (2008), Pirrone et al. (2015)
- Gronostay, S.: Lebensbedingungen und Bedürfnisse
- Huber et al. (2022): Overimitation in Dogs
- FCI-Rassestandards
- Tierschutzgesetz (Deutschland)
