Übersprungverhalten
Übersprungverhalten
Übersprungverhalten bezeichnet Verhaltensweisen, die in einer inneren Konfliktsituation auftreten und keinen direkten funktionalen Bezug zur Situation haben. Sie entstehen, wenn ein Hund zwischen mehreren widersprüchlichen Handlungsimpulsen steht oder eine gewünschte Handlung nicht ausführen kann.
Diese Verhaltensformen wirken auf den ersten Blick unpassend oder „deplatziert“, erfüllen jedoch eine wichtige Funktion im Spannungsabbau und in der emotionalen Regulation.
Merkmale von Übersprungverhalten
- Tritt in emotional aufgeladenen Situationen auf (z. B. Frust, Angst, Unsicherheit)
- Wirkt oft plötzlich, unerwartet oder nicht „zum Kontext passend“
- Hat keinen offensichtlichen situativen Zweck
- Dient der Stressbewältigung oder dem Konfliktausgleich
Typische Formen beim Hund
- Kratzen ohne körperlichen Reiz (z. B. plötzliches Ohrenkratzen beim Kommando)
- Gähnen in angespannten Momenten (z. B. vor dem Start ins Training)
- Schütteln ohne körperlichen Anlass (z. B. nach Konfrontationen oder bei Unsicherheit)
- Schnüffeln am Boden in konflikthaften Situationen
- Plötzliches Belecken der Lefzen oder Pfoten
- Wegschauen, Sich-Umwenden, scheinbar "Desinteresse zeigen"
Entstehungskontext
Übersprungverhalten entsteht oft durch:
- innere Konflikte (z. B. zwischen Annäherung und Vermeidung)
- Frustration (z. B. bei ausbleibender Belohnung)
- Unsicherheit oder Überforderung
- Hemmung eines Impulses (z. B. nicht ziehen dürfen bei Erregung)
- unerfüllte Erwartung oder Blockierung eines Bedürfnisses
Bedeutung im Training
- Übersprungverhalten ist ein Warnsignal für emotionale Anspannung
- Es sollte nicht unterdrückt, sondern als Hinweis auf Trainingsüberforderung interpretiert werden
- Häufung dieser Verhaltensweisen zeigt einen steigenden inneren Druck
- Trainingsziele sollten in solchen Momenten angepasst oder unterbrochen werden
- Achtsamkeit gegenüber diesen Signalen ermöglicht bedürfnisorientiertes Arbeiten
Abgrenzung zu anderen Verhaltensformen
- Kein bewusst gesteuertes Verhalten – Übersprunghandlungen sind unwillkürlich
- Keine Ersatzhandlungen im Sinne aktiver Kompensation
- Nicht zu verwechseln mit reiner Ablenkung oder Spielverhalten
Fachliche Empfehlungen
- Übersprungverhalten frühzeitig erkennen und im Trainingskontext dokumentieren
- Ursachen analysieren: Welche Konflikte, Hemmungen oder Frustquellen liegen vor?
- Trainingsziele ggf. zurückschrauben und Sicherheit/Erfolgserlebnisse einbauen
- Hund nicht für diese Signale korrigieren – sie sind Ausdruck innerer Verarbeitung
Fazit
Übersprungverhalten ist ein wichtiger Indikator für das emotionale Gleichgewicht eines Hundes. Wer diese Signale erkennt und richtig einordnet, kann Trainingsziele besser dosieren, Überforderung vermeiden und die Beziehungsqualität verbessern. Sie gehören zu den feinen, aber sehr aussagekräftigen Kommunikationsformen im Hundetraining.
